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Reichsverfassungsurkunde

vom 16. April 1871 und die wichtigsten Administrativgesetze des deutschen Reichs mit einer systematischen Darstellung der Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts.
Herausgegeben und erläutert von Emil Riedel im Verlag C.H. Beck, Nördlingen 1871.

Anhang zur zweiten Abtheilung. I. Vertrag mit Baden und Hessen.
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Anhang zur zweiten Abtheilung.

I.

Vertrag mit Baden und Hessen.

d. d. Versailles den 15. November 1870.

Die Bevollmächtigten des norddeutschen Bundes, dann des Großherzogthums Baden und Hessen sind am 15. November in Versailles zusammengetreten und haben sich, nach gegenseitiger Vorlegung und Anerkennung ihrer Vollmachten, über die anliegende Verfasssung*) des deutschen Bundes verständigt.

Sie sind ferner darüber einverstanden, daß diese Verfassung vorbehaltlichder weiter unten zu erwähnenden Maßgaben, mit dem 1. Januar 1871 in Wirksamkeit treten soll, und ertheilen sich deshalb gegenseitig die Zusage, daß sie unverzüglich den gesetzgebenden Faktoren des norddeutschen Bundes, beziehungsweise Badens und Hessens zur verfassungsmäßigen Zustimmung vorgelegt und, nach Ertheilung dieser Zustimmung, im Laufe des Monats Dezember ratifizirt werden soll. Der Austausch der Ratifikations-Erklärungen soll in Berlin erfolgen.

In Betracht der großen Schwierigkeiten, welche theils die vorgerückte Zeit, theils die Fortdauer des Krieges, theils endlich die in einigen betheiligten Staaten bereits erfolgte Regulirung des Landesbudgets der Aufstellung eines Etats für die Militär-Verwaltung des deutschen Bundes für das Jahr 1871 entgegenstellen, ist man übereingekommen, daß die Gemeinschaft der Ausgaben für das Landheer erst mit dem 1. Januar 1872 beginnen soll. Bis zu diesem Tage wird daher der Ertrag der im Art. 35 bezeichneten gemeinschaftlichen Abgaben nicht zur Bundeskasse fließen, sondern den Staatskassen Badens und Hessens, letzterer rücksichtlich des auf Südhessen fallenden Antheils, verbleiben und es wird der Beitrag dieser Staaten zu den Bundes-Ausgaben durch Matrikular-Beiträge aufgebracht werden, wegen deren Feststellung dem im nächsten Jahre zu berufenden Reichstage eine Vorlage gemacht werden wird.

Auch die Bestimmungen in den Art. 49-52 der Bundesverfassung sollen für Baden erst mit dem 1. Januar 1872 in Wirksamkeit treten, damit die für die Ueberleitung der Landesverwaltung der Posten und Telegraphen in die Bundesverwaltung erforderliche Zeit gewonnen werde.

Im Uebrigen wurden noch nachstehende, im Laufe der Verhandlungen abgegebene Erklärungen in gegenwärtiges Protokoll niedergelegt:
Man war darüber einverstanden,

1) zu Artikel 18 der Verfassung, daß zu den, einem Beamten zustehenden Rechten im Sinne des zweiten Absatzes dieses Artikels diejenigen Rechte nicht gehören, welche seinen Hinterbliebenen in Beziehung auf Pensionen oder Unterstützungen etwa zustehen;

2) zu den Artikeln 35 und 38 der Verfassung, daß die nach Maßgabe der Zollvereins-Verträge auch ferner zu erhebenden Uebergangs-Abgaben von Branntwein und Bier ebenso anzusehen sind, wie die auf die Bereitung dieser Getränke gelegten Abgaben;

3) zu Artikel 38 der Verfassung, daß, so lange die jetzige Besteuerung des Bieres in Hessen fortbesteht, nur der dem Betrage der norddeutschen Braumalzsteuer entsprechende Theil der hessischen Biersteuer in die Bundeskasse fließen wird;

4) zum VIII. Abschnitt der Verfassung, daß die Verträge, durch welche das Verhältniß des Post- und Telegraphenwesens in Hessen zum norddeutschen Bunde jetzt geregelt ist, durch die Bundes-Verfassung nicht aufgehoben sind. Insbesondere behält es hinsichtlich der Zahlung des Kanons und der Chausseegeld-Entschädigung, sowie der Entschädigung für Wege- und Brückengelder und sonstige Kommunikations-Abgaben, ferner hinsichtlich der Vergütung für Benutzung der Staats- und Privatbahnen, und hinsichtlich der Behandlung des Portofreiheitswesens in Südhessen, bis zum Ende des Jahres 1875 sein Bewenden bei dem jetzt bestehenden Zustande. Für die Zeit vom 1. Januar 1876 ab fällt die Zahlung des Kanons und der Chausseegeld-Entschädigung weg. Wie es in Bezug auf die Vergütung für die postalische Benutzung der Eisenbahnen, sowie in Bezug auf die südhessischen Portofreiheiten für die Zeit nach dem 1. Januar 1876 zu halten sei, bleibt späterer Verständigung vorbehalten. Die Entschädigung für Wege und Brückengelder und sonstige Kommunikations-Abgaben wird auch nach dem 1. Januar 1876 an die großherzoglich hessische Regierung gezahlt, wogegen diese die Entschädigung der Berechtigten auch für die Zukunft wie bisher übernimmt;

5) zu Artikel 52 der Verfassung wurde von den badischen Bevollmächtigten bemerkt, daß die finanziellen Ergebnisse der Post- und Telegraphen- Verwaltung des Bundes, wie sie sich bisher gestaltet hätten und in dem Bundes-Haushalts-Etat für 1871 veranschlagt seien, ungeachtet der im Art. 52 getroffenen Bestimmung, keine Gewähr dafür leisteten, daß der auf Baden fallende Antheil an den Einnahmen dieser Verwaltungen auch nur annähernd diejenige Einnahme ergeben werde, welche es gegenwärtig aus seiner eignen Verwaltung zum Betrage von durchschnittlich 130,000 Thalern beziehe. Sie hielten es deshalb für billig, daß Baden durch eine besondere Verabredung vor einem, seinen Haushalt empfindlich berührenden Einnahme- Ausfall gesichert werde.

Wenngleich von anderen Seiten die Besorgniß der badischen Bevollmächtigten als begründet nicht anerkannt werden konnte, so einigte man sich noch dahin, daß, wenn im Laufe der Uebergangs-Periode der nach dem Prozent-Verhältniß sich ergebende Antheil Badens an den im Bunde aufkommenden Postüberschüssen in einem Jahre die Summe von 100,000 Thalern nicht erreichen sollte, der an dieser Summe fehlende Betrag Baden auf seine Matrikular-Beiträge zu Gute gerechnet werden soll. Eine solche Anrechnung wird jedoch nicht stattfinden in einem Jahre, in welches kriegerische Ereignisse fallen, an denen der Bund betheiligtist;

6) zu Artikel 56 der Verfassung bemerkten die Bevollmächtigten des norddeutschen Bundes auf Anfrage des großherzoglich badischen Vevollmächtigten, daß das Bundespräsidium schon bisher, nach Vernehmung des zuständigen Ausschusses des Bundesraths, Bundeskonsulate errichtet habe, wenn eine solche Einrichtung an einem bestimmten Platze durch das Interesse auch nur eines Bundesstaates geboten worden sei. Sie verbanden damit die Zusage, daß in diesem Sinne auch in Zukunft werde verfahren werden;

7) zu Artikel 62 der Verfassung wurde verabredet, daß die Zahlung der nach diesem Artikel von Baden aufzubringenden Beiträge mit dem ersten Tage des Monats beginnen soll, welcher auf die Anordnung zur Rückkehr der badischen Truppen von dem Kriegszustande auf den Friedensfuß folgt;

8) zu Artikel 78 der Verfassung wurde allseitig als selbstverständlich angesehen, daß diejenigen Vorschriften der Verfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind, nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden können; 9) zu Artikel 80 der Verfassung war man in Beziehung auf das Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen vom 12. Juni vor. J., darüber einig, daß eine entsprechende Vermehrung der Mitglieder dieses Gerichtshofes durch einen Nachtrag zu dessen Etat für 1871 in Vorschlag zu bringen sein werde.

Es wurde ferner allseitig anerkannt, daß zu den im norddeutschen Bunde ergangenen Gesetzen, deren Erklärung zu Gesetzen des deutschen Bundes der Bundesgesetzgebung vorgehalten bleibt, das Gesetz vom 21. Juli d. J., betreffend den außerordentlichen Geldbedarf der Militär und Marine-Verwaltung, nicht gehört, und daß das Gesetz vom 31. Mai d. J., betreffend die St. Gotthard-Eisenbahn, jedenfalls nicht ohne Veränderung seines Inhalts zum Bundesgesetze würde erklärt werden können.

Gegenwärtiges Protokoll ist vorgelesen, genehmigt und von den im Eingange genannten Bevollmächtigten in Einem, in das Archiv des Bundeskanzler-Amts zu Berlin niederzulegenden Exemplare vollzogen worden.

*) Diese Verfassung ist in die nunmehrige Redaktion der Reichsverfassung übergegangen und deßhalb hier nicht abgedruckt.

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