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Reichsverfassungsurkunde

vom 16. April 1871 und die wichtigsten Administrativgesetze des deutschen Reichs mit einer systematischen Darstellung der Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts.
Herausgegeben und erläutert von Emil Riedel im Verlag C.H. Beck, Nördlingen 1871.

Zweite Abtheilung. Verfassung des deutschen Reiches. XI. Reichs-Kriegswesen.
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Artikel 62.1)

Zur Bestreitung des Aufwandes für das gesammte deutsche Heer und die zu demselben gehörigen Einrichtungen sind bis zum 31. Dezember 1871 dem Kaiser jährlich sovielmal 225 Thaler, in Worten zweihundert fünf und zwanzig Thaler, als die Kopfzahl der Friedensstärke des Heeres nach Artikel 60 beträgt, zur Verfügung zu stellen. Vergl. Abschnitt XII.

Nach dem 31. Dezember 18712) müssen diese Beiträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Reichskasse fortgezahlt werden. Zur Berechnung derselben wird die im Artikel 60 interimistisch festgestellte Friedens-Präsenzstärke so lange festgehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz abgeändert ist.

Die Verausgabung dieser Summe für das gesammte Reichsheer und dessen Einrichtungen wird durch das Etatsgesetz festgestellt.

Bei der Feststellung des Militär-Ausgabe-Etats wird die auf Grundlage dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichsheeres zu Grunde gelegt.

1) a. Dieser Artikel findet auf Bayern keine Anwendung; statt dessen ist in Ziff. III § 5 Nr. II des bayr. Vertrags bestimmt: „Bayern verpflichtet sich, für sein Kontingent und die zu demselben gehörigen Einrichtungen einen gleichen Geldbetrag zu verwenden, wie nach Verhältniß der Kopfstärke durch den Mitäretat des deutschen Bundes für die übrigen Theile des Bundesheeres ausgesetzt wird. Dieser Geldbetrag wird im Bundesbudget für das k. bayr. Kontingent in Einer Summe ausgeworfen. Seine Verausgabung wird durch Specialetats geregelt, deren Aufstellung Bayern überlassen bleibt. Hiefür werden im Allgemeinen diejenigen Etats-Ansätze nach Verhältniß zur Richtschnur dienen, welche für das übrige Bundesheer in den einzelnen Theilen ausgeworfen sind;“ vergl. hierzu unten Art. 72 Note 1.

Hieraus, sowie aus den unten zu Art. 63 der Verf. angeführten Vereinbarungen über die Gleichheit des bayrischen Heeres mit den übrigen deutschen Kontingenten in Bezug auf Organisation, Formation, Ausbildung und Gebühren, dann aus den betreffenden Verhandlungen im norddeutschen Reichstage von 1870 (Stenog. Ber. S. 123 u. 146) ergiebt sich:

a. daß Bayern im Allgemeinen und im Einzelnen in Bezug auf das Militärwesen verhältnißmäßig ganz die nemlichen Obliegenheiten hat, wie die übrigen deutschen Staaten,

b. daß sich das Budgetrecht des Reichstags, jedoch in beschränktem Maaße, auch auf das bayrische Militärbudget erstreckt, und daß die Gesammtsumme, welche durch Reichsgesetz für dasselbe bestimmt wird, als Ausgabe des Reichs in dessen Budget erscheint (Erklärung des Präsid. des Bundeskanzleramts stenog. Ber. 1870 S. 146),

c. daß, wenn auch die Specialetats für Bayern nicht unmittelbar vom Reiche aufgestellt werden, doch das gesammte Reichsmilitärbudget mit allen Einzelheiten als eine gemeinschaftliche Angelegenheit zu betrachten ist, und daß ebendeßhalb die Reichstagsabgeordneten aus Bayern an der. Abstimmung über die Specialetats des zunächst Bayern nicht berührenden Militärbudgets des Reiches theilzunehmen haben, und

d. daß Bayern nicht völlig unabhängig bei Aufstellung der Specialetats seines Militärbudgets ist, sondern sich hiebei nach den im Reichsbudget angenommenen Sätzen, aus welchen die Gesammtsumme entwickelt wurde, zu richten hat; was insbesondere die Frage betrifft, welche Leistungen Bayern im Falle des Nichtzustandekommens eines Reichshaushaltsgesetzes zu machen habe, so wurde dieselbe bei Berathung der Verträge im bayrischen Landtage ausführlich erörtert und man gelangte hiebei zur Ueberzeugung, daß wenn kein Etatsgesetz existire auch keine Ziffer für den von Bayern vertragsmäßig aufzuwendenden Geldbetrag vorhanden sei, und daß für einen solchen Fall der bayrischen Kammer das volle Budgetrecht in Bezug auf die Militärausgaben, wie es vor Abschluß der Verträge bestand, zukomme; cf. Verhandl. der bayr. Kammer der Abgeord. 1870/71, Stenog. Ber. Bd. IV S. 155, 210 ff. und 355.

Weniger klar ist die Frage, ob die Aufstellung der Specialetats für das bayrische Militär durch Landesgesetz oder von der Regierung allein zu erfolgen habe. Die erstere Ansicht wurde ohne weitere Unterscheidung im bayrischen Landtage (Sten. Ber. IV S. 213) vertreten. -Dem gegenüber ist jedoch zu erwägen, daß Bayern, wie bereits erwähnt, vertragsmäßig bei Aufstellung der Specialbudgets diejenigen Ansätze anzuwenden hat, welche für die übrigen Kontingente maßgebend sind, und daß sich eine Aufstellung der Pauschalsumme für Bayern im Reichstage nicht wohl ohne gleichzeitige Berücksichtigung jener Ansätze denken läßt, so daß also bezüglich der letzteren implicite die Zustimmung des Reichstags auch für Bayern vorliegt. Die Aufstellung der Specialetats für Bayern ist daher, — soweit die von jedem deutschen Kontingente gleichmäßig zu leistenden Ausgaben in Frage stehen - nichts als ein Rechenexempel, dessen Lösung auch vom bayrischen Landtage unter Beobachtung der im Reichstage festgestellten Direktiven geschehen müßte und dem bayrischen Kriegsministerium um so mehr allein zu überlassen sein dürfte, als dasselbe dem Landtage ohnehin später Rechnung zu legen hat.

Anders verhält es sich mit denjenigen Ausgaben, bei welchen die vorstehenden Voraussetzungen nicht zutreffen; hier ist das Land, da die Ersparungen am Militäretat der bayrischen Staatskasse zu Gute kommen, wesentlich interessirt, und es wird daher zur Festsetzung allerdings die Mitwirkung des bayrischen Landtags erforderlich sein. - In Betracht kommt ferner, daß Bayern zweijährige Finanzperioden hat, während das Reichshaushaltsgesetz alljährlich zu erlassen ist.

b. Für Württemberg ist im Art. 12 der Milit.-Convention bestimmt: „Aus der von Württemberg nach Art. 62 zur Verfügung zu stellenden Summe bestreitet die k. württembergische Regierung nach Maßgabe des Bundeshaushaltsetats den Aufwand für die Unterhaltung des k. württembergischen Armeekorps, einschließlich der Neuanschaffungen, Bauten, Einrichtungen u.s.w. in selbständiger Verwaltung sowie den Antheil Württembergs an den Kosten für die gemeinschaftlichen Einrichtungen des Gesammtheers – Central-Administration, Festungen, Unterhaltung der Militärbildungsanstalten, einschließlich der Kriegsschule und militärärztlichen Bildungsanstalten, der Examinations-Commissionen, der militärwissenschaftlichen und technischen Institute, des Lehrbataillons, der Militär- und Artillerie-Schießschule, der Militär-Reitschule, der Central-Turnanstalt und des großen Generalstabes.“

2) Die drei letzten Absätze des Art. 62 verdanken ihre Entstehung einem Kompromisse mit dem konstituirenden Reichstage von 1867. Während nemlich die verbündeten Regierungen das Militärbudget durch die Art. 56 und 58 des Entwurfs (nun Art. 60 und 62 der Verfassung) vor nachtheiligen Schwankungen sichern wollten, glaubte der konstituirende Reichstag auf dem vollen Budgetrechte der Volksvertretung bestehen zu sollen. Durch das Kompromiß wurde nun folgende Lage geschaffen:

a. bis zum letzten Dezember 1871 wurde der Bundesmilitärverwaltung die in Art. 62 Abs. 1 der Verfassung bezeichnete Summe zur Verfügung gestellt und zugleich das Recht ertheilt, sie zur Bestreitung des Aufwandes für das gesammte Bundesheer zu verwenden;

b. nach dem letzten Dezember 1871 aber sind zwar gemäß Art. 62 Abs. III die Militärbeiträge der einzelnen Staaten an die Bundes-(Reichs-)kasse fortzuzahlen und zwar, wenn ein Reichsgesetz nicht zu Stande kommt in der früheren Höhe, die Verausgabung jener Beiträge aber darf nur erfolgen, wenn und insoweit sie durch ein Etatsgesetz gestattet ist. Die Reichsmilitärverwaltung erhält sohin zwar, im Falle ein Etatsgesetz nicht zu Stande gebracht werden sollte, die Einnahmen für das Militär, allein sie ist rechtlich nicht befugt, dieselben zu verwenden.

Vergleiche hiezu die Verhandlungen der bayr. Kammer der Abgeord. 1870/71, Stenog. Ber. S. 211 ff.; dann die Verhandlungen des konstituirenden Reichstags von 1867 S. 715 ff., ferner Hirsemenzel, Verfassung des norddeutschen Bundes I S. 169 ff.

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