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Reichsverfassungsurkunde

vom 16. April 1871 und die wichtigsten Administrativgesetze des deutschen Reichs mit einer systematischen Darstellung der Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts.
Herausgegeben und erläutert von Emil Riedel im Verlag C.H. Beck, Nördlingen 1871.

Erste Abtheilung. Grundzüge des Verfassungsrechts des deutschen Reichs.
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§ 5.

Bundespräsidium; deutscher Kaiser.

1. Das Präsidium des Bundes, die Reichsvorstandschaft, kommt dem jeweiligen Könige von Preußen1) zu, welchen den Namen deutscher Kaiser führt (Art. 11 der Verf.).

Der Kaiser vertritt und schützt das Reich gegen Außen und übt die Exekutive im Innern; er genießt besondere Vorrechte in Bezug auf die Reichsgesetzgebung und veranlaßt die Thätigkeit der Reichsgesetzgebungsfaktoren, er sorgt für den Vollzug der Reichsgesetze und trifft innerhalb seiner Zuständigkeit die hierzu erforderlichen Vorschriften und Einrichtungen; er führt endlich den Oberbefehl über die sämmtlichen Streitkräfte des Reichs zu Wasser und zu Land.

Die Unverletzlichkeit der Person des Kaisers ist in den Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuchs besonders berücksichtigt.

II. Im Einzelnen sind dem Bundespräsidium durch die Verfassung folgende Rechte zugewiesen:

A. 1) Nach Art. 11 der Verf. hat der Kaiser das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnissse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen,2) Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zu Kriegserklärungen ist, wenn nicht ein Angriff auf Bundesgebiet erfolgt, die Zustimmung des Bundesraths nothwendig. Verträge, welche einen Gegenstand der Gesetzgebung betreffen, also gegebenen Falls auch Friedensschlüsse, sind nur mit Zustimmung des Bundesraths und Reichstags für das Reich verbindlich.

2) Das gesammte Konsulatswesen des. deutschen Reichs steht unter Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln nach Vernehmung des Bundesrathsausschussses für Handel und Verkehr anstellt (Art. 56 der Verfasssung).

B. 3) Wenn Bundesglieder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, so vollzieht der Kaiser auf Beschluß des Bundesraths die Exekution (Art. 19 der Verf.).

4) Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegszustand3) erklären (Art. 68 der Verf.).

C. 5) Dem Kaiser steht es zu, den Bundesrath und den Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen (Art. 12 der Verf.); die Berufung des Bundesraths muß jedoch geschehen, wenn ein Drittheil der Stimmenzahl es verlangt (Art. 14 der Verf.) oder der Reichstag zusammentreten soll; die Auflösung des Reichstags kann während der Legislaturperiode nur auf Grund eines Bundesrathsbeschlusses erfolgen. Ohne Zustimmung des Reichstags darf die Vertagung desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden (Art. 25 und 26 der Verf.).

6) Im Bundesrathe führt der vom Kaiser ernannte Reichskanzler oder dessen Stellvertreter den Vorsitz, und leitet die Geschäfte (Art. 15 der Verf.).

7) Mit Ausnahme des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten hat das Präsidium resp. ein preußischer Bevollmächtigter in allen regelmäßig bestehenden Bundesrathsausschüssen von Rechtswegen einen Sitz.

8) Der Kaiser ernennt (mit alleiniger Ausnahme des bayrischen und württembergischen Bevollmächtigten) die Mitglieder der Bundesrathsausschüsse für das Landheer und die Festungen, dann die Mitglieder es Ausschusses für das Seewesen.

9) Die Vorlagen des Bundesraths an den Reichstag werden im Namen des Kaisers eingebracht.

D. 10) Dem Kaiser steht ein absolutes Veto gegen die Abänderung der bestehenden Gesetze und Verwaltungsvorschriften in Bezug auf das Militärwesen, die Kriegsmarine, die Zölle und die in Art. 35 der Verfassung erwähnten Verbrauchssteuern zu (vergl. Art. 5 der Verfassung, dann oben § 4 IV Ziff. 3).

11) Die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Ueberwachung der Ausführung derselben kommt dem Kaiser zu. Er erläßt, vorbehaltlich des Verordnungsrechtes des Bundesraths, im Namen des Reichs die erforderlichen Verordnungen und Verfügungen unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers (Art. 17 der Verf.).

Das ausschließliche Verordnungsrecht ist dem Kaiser namentlich vorbehalten in Bezug auf die Post- und Telegraphenverwaltung (Art. 50 der Verf. § 5 u. 57 des Postgesetzes vom 2. Novemb. 18674), die Marine und das Militärwesen (Art. 53 und 63 der Verf. und § 19 des Ges. über die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 9. Nov. 1867).

Auf Grund einzelner Gesetze steht ferner dem Kaiser zu:

a. Im Falle des Kriegs, innerer Unruhen etc. die Paßpflichtigkeit vorübergehend einzuführen (Paßges. v. 12. Oktob. 1867 § 9);

b. die Instruktion über Maßregeln gegen die Rinderpest zu erlassen (Ges. v. 7. April 1869 § 8),

c. die Klassen der kautionspflichtigen Reichsbeamten und die Höhe der Amtskautionen im Einvernehmen mit dem Bundesrathe zu bestimmen (Ges. v. 2. Juni 1869 § 3),

d. Anordnungen wegen der Anfertigung und des Debits von Wechselstempelmarken etc. zu treffen (Ges. v. 10. Juni 1869 § 22),

e. den Tag für die Reichstagswahlen festzusetzen (Wahlreglement vom 28. Mai 1870 § 9),

f. die Termine zu bestimmen, an welchen die Flößereiabgaben bei den einzelnen Flüssen aufzuhören haben (Ges. v. 1. Juni 1870 § 1),

g. in Kriegszeiten über die Ertheilung der Entlassungsurkunden an Bundesangehörige Anordnung zu treffen (Ges. über die Bundes-Staatsangeh. v. 1. Juni 1870 § 17).

13) Die Ueberwachung des Verfahrens bei der Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern (Art. 36 der Verf.) dann die obere Leitung der Post- und Telegraphenverwaltung (mit Ausnahme Bayerns und Württembergs) gehört dem Kaiser (Art. 50 der Verf.). Derselbe ist berechtigt, bei eintretenden Nothständen die Eisenbahntarife für Lebensmittel und dergl. auf Vorschlag des betreffenden Bundesrathsausschusses zu ermäßigen (Art. 46 der Verf.).

E. 14) Der Kaiser ernennt den Reichskanzler und die Reichsbeamten, läßt dieselben für das Reich vereidigen und verfügt erforderlichen Falls deren Entlassung (Art. 18, 36, 50, 53, 56 und 64 der Verf.).5)

F. 15) Die Kriegsmarine des Reichs steht unter dem Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser ob, welcher die Officiere und Beamten der Marine ernennt, und für welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind (Art. 53 der Verf.).

G. 16) Die gesammte Landmacht des Reichs steht im Kriege und Frieden unter dem Oberfehl des Kaisers; ausgenommen ist nur das bayrische Kontingent, welches im Frieden ausschließend unter der Militärhoheit des Königs von Bayern sich befindet.

Die Verpflichtung der deutschen Truppen zum unbedingten Gehorsam gegen den Kaiser ist in den Fahneneid aufzunehmen (Art. 63, 64 u. 66 der Verf.). Das Recht, Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen, kommt, mit Ausnahme Bayerns6), dem Kaiser zu.

1) Vergleiche hiezu die Bemerkungen in § 3 Ziff. VI.

2) Vergl. auch Art. 50 der Verf. Nach Ziff. XI des bayrischen Schlußprotokolls wurde allseitig anerkannt, daß bei dem Abschlusse von Post- und Telegraphen-Verträgen mit außerdeutschen Staaten zur Wahrung der besonderen Landesinteressen Vertreter der an die betreffenden außerdeutschen Staaten angrenzenden Bundesstaaten zugezogen werden sollen.

3) Eine Ausnahme findet dermalen noch hinsichtlich Bayerns statt.

4) Vergl. hiezu bezüglich der Mitwirkung des Bundesraths den § 50 des Entwurfs eines Postgesetzes; Anlagen zu den Sten. Ber. des Reichstags von 1871 Nr. 87.

5) Ueber die Vorschlagsrechte des Bundesraths bezüglich der Mitglieder des Rechnungshofs, des Bundesoberhandelsgerichts und des Bundesamts für Heimatsachen siehe oben § 4 Ziff. VI Nr. 8 u. 12.

6) Bezüglich Württembergs findet ein vorgängiges Benehmen mit der württemb. Regierung statt.

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