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Reichsverfassungsurkunde

vom 16. April 1871 und die wichtigsten Administrativgesetze des deutschen Reichs mit einer systematischen Darstellung der Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts.
Herausgegeben und erläutert von Emil Riedel im Verlag C.H. Beck, Nördlingen 1871.

Dritte Abtheilung. Anhang A zum V. Abschnitt. Entschließung des bayrischen Staatsministeriums des Innern vom 9. Mai 1871 Nr. 4756, den Vollzug des (nord-)deutschen Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes und Staatsangehörigkeit betr.
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Anhang zum V. Abschnitte

A.

Entschließung des bayrischen Staatsministeriums des Innern vom 9. Mai 1871 Nr. 4756, den Vollzug des (nord-)deutschen Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes und Staatsangehörigkeit betr.

Zum Vollzuge des vom 13. Mai ds. Jrs. an auch in Bayern geltenden (nord-)deutschen Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 ergeht im Einverständnisse mit den kgl. Staatsministerien des k. Hauses und des Aeußern, dann der Finanzen folgende Entschließung:

1. Dieses Gesetz tritt an die Stelle der zur Zeit in Bayern bestehenden Bestimmungen über Ein- und Auswanderung und ist fortan für die Beurtheilung der Frage, auf welche Art die bayrische Staatsangehörigkeit erworben oder verloren wird, sowie für die Behandlung der Ein- und Auswanderungsgesuche zunächst maßgebend.

2. a. Die Ausfertigung der Aufnahme- und Naturalisationsurkunden (§ 6 des Gesetzes), dann der Entlassungsurkunden (§ 14) geschieht ausschließend durch die kgl. Kreisregierungen, K. d. Innern; die in Art. 9 des Gesetzes über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt vom 16. April 1868, dann in Art. 14 der Gemeindeordnung für die Landestheile diesseits des Rheins vom 29. April 1869 und in Art. 12 der Gemeindeordnung für die Pfalz vom gleichen Tage vorgesehene distriktspolizeiliche Bestätigung des Heimat-, beziehungsweise Bürgerrechtserwerbs genügt fortan nicht mehr zur Erlangung der bayr. Staatsangehörigkeit und fällt deßhalb_ hinweg; dagegen ist die Erwerbung des Heimat- oder Bürgerrechts durch einen Nichtbayer , wie bisher von dem Eintritte in den bayr. Staatsverband abhängig und demgemäß auch bei dem Vorhandensein einer derartigen gemeindlichen Zusicherung die Ertheilung der in § 6 des Gesetzes vorgeschriebenen Urkunde durch die vorgesetzte Kreisregierung erforderlich.

b. Für die Aufnahme- und resp. Naturalisationsurkunden, dann die Entlassungsurkunden sind bis auf Weiteres die beiliegenden Formulare anzuwenden.

3. Die Instruktion der Gesuche um Aufnahme (§ 7), Naturalisation (§ 8) oder Entlassung (§ 15), welche entweder schriftlich eingereicht oder zu Protokoll gegeben werden können, steht den Distriktsverwaltungsbehörden, in den einer Kreisregierung unmittelbar untergeordneten Gemeinden mit Einschluß Münchens den Magistraten zu. Durch diese Behörden geschieht auch die Aushändigung der betreffenden von den Kreisregierungen gefertigten Urkunden.

4. a. Berechtigt, die Aufnahme (§ 7) zu verlangen, sind lediglich die Bundesangehörigen. Wer um die Aufnahme nachsucht, hat nachzuweisen, daß er Angehöriger eines deutschen Bundesstaates ist und sich in einer bayerischen Gemeinde niedergelassen d. h. seinen dauernden Aufenthalt genommen hat. Der Nachweis der Bundesangehörigkeit wird durch einen legalen Heimatschein oder eine sonstige von der Heimatbehörde des Gesuchstellers ausgestellte Urkunde erbracht, der Nachweis der Niederlassung durch ein Zeugniß der Aufenthaltsgemeinde, welches mit den übrigen Erklärungen derselben verbunden werden kann.

b. In dem Gesuche, beziehungsweise in der hierüber aufgenommenen Verhandlung ist außer dem Vor- und Zunamen der Stand, das Alter, und der Geburtsort des Gesuchstellers, dann seiner etwaigen Familienangehörigen, nämlich der Ehefrau und Kinder zu constatiren und genau anzugeben, auf welche Familienglieder sich die Aufnahme erstrecken soll und welche hievon ausgenommen werden (§ 11 des Ges.).

c. Legt der Gesuchsteller nicht sofort ein Zeugniß der Gemeindeverwaltung der Niederlassungsgemeinde darüber vor, daß dieselbe von dem ihr in § 4 u. 5 des Ges. über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 eingeräumten Abweisungsrechte keinen Gebrauch machen könne oder wolle, so ist das Gesuch ungesäumt der betreffenden Gemeindeverwaltung zur Aeußerung über den soeben erwähnten Punkt mitzutheilen.

d. Endlich ist zu den Akten zu constatiren, ob nicht sonstige Thatsachen vorliegen, auf Grund deren dem Gesuchsteller gemäß § 2 oder 3 des allegirten Freizügigkeitsgesetzzes der Aufenthalt untersagt werden könnte. Zu diesem Zwecke ist jedoch die Erholung von Zeugnissen der früheren Aufenthalts- oder Heimatsbehörde des Gesuchstellers nur dann erforderlich, wenn dessen Verhältnisse der instruirenden Behörde nicht genügend bekannt sind. Ueberhaupt haben sich die Behörden aller unnöthigen Weitläufigkeiten zu enthalten und insbesondere auch von der Vorlage etwaiger Civilstandszeugnisse abzusehen, wenn die betreffenden Angaben des Gesuchstellers glaubhaft erscheinen.

e. Nach vollendeter Instruktion sind die Akten der vorgesetzten Kreisregierung einzusenden.

f. Die Aufnahme Bundesangehöriger darf keinesfalls von dem Nachweise des Heimaterwerbs in einer bayrischen Gemeinde oder von der Beibringung der Entlassung aus dem bisherigen Unterthanenverbande abhängig gemacht werden.

g. Sowohl die Sachinstruktion als die Ertheilung der Aufnahmsurkunde erfolgt tax- und stempelfrei (§ 24 des Ges.).

5. a. Ausländern d. h. Nichtbundesangehörigen steht ein Recht, die Naturalisation zu verlangen, nicht zu ; dieselbe kann daher auch verweigert werden, wenn die in § 8 Abs. I Ziff. 1-4 des Gesetzes aufgestellten Vorbedingungen erfüllt sind.

Demgemäß wird mit Rücksicht auf die bayr. Heimatgesetzgebung bis auf Weiteres verfügt, daß Ausländern die Naturalisation in der Regel nur dann zu ertheilen sei, wenn sie nachweisen, daß sie für den Fall der Naturalisation sofort die Heimat in einer bayerischen Gemeinde erhalten. Eine Ausnahme von dieser Regel ist nur mit Genehmigung des unterzeichneten Staatsministeriums zulässig.

b. In Ansehung der reichsgesetzlichen Vorbedingungen, ohne deren Erfüllung überhaupt eine Naturalisation nicht stattfinden darf, ist Folgendes zu beachten:

Sind der instruirenden Behörde die Verhältnisse des Gesuchstellers hinsichtlich der in § 8 Abs. I Ziff. 1 u. 2 erwähnten Vorbedingungen als unbedenklich bekannt, so genügt eine einfache Constatirung, daß in diesen beiden Beziehungen kein Hinderniß obwalte, außerdem ist der Sachverhalt durch entsprechende Ermittlungen klar zu stellen.

Zum Nachweise der in § 8 Abs. I Ziff. 3 erwähnten Vorbedingung dient ein Zeugniß der Ortsbehörde der Niederlassungsgemeinde, welches mit der von derselben gemäß § 8 Abs. II ohnehin abzugebenden Erklärung verbunden werden kann.

Die in § 8 Abs. I Ziff. 4 angeführte Vorbedingung endlich macht es nothwendig, daß die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse des Gesuchstellers glaubhaft dargethan werden , in welcher Hinsicht übrigens dem Zeugnisse der Niederlassungsgemeinde in der Regel volles Gewicht beizumessen ist.

Die in § 8 Abs. II vorgeschriebene Erklärung der betreffenden Gemeinde ist stets zu den Akten zu bringen.

Für die weitere Sachinstruktion sind die oben sub Ziff. 4 lit. b u. e getroffenen Anordnungen maßgebend.

c. Die Kreisregierungen haben bei der Bescheidung der Naturalisationsgesuche, unbeschadet einer gewissenhaften Prüfung der Sachlage, von dem Grundsatze auszugehen, daß eine unmotivirte Erschwerung der Naturalisation weder im Geiste der Gesetzgebung liegt, noch sonst geboten erscheint.

Ein Nachweis, daß der Gesuchsteller aus seinem bisherigen Unterthanenverbande entlassen worden sei, ist nicht erforderlich.

In Fällen, in denen ausnahmsweise von der Erwerbung der Heimat Umgang zu nehmen ist, werden die Kreisregierungen an das unterzeichnete Staats- Ministerium Bericht erstatten.

d. Die Verhandlungen über die Ertheilung der Naturalisation, sowie die Naturalisationsurkunde unterliegen der Tax- und Stempelpflicht.

6. Unter dem Ausdrucke „ Central- oder höhere Verwaltungsbehörde" in § 9 des Gesetzes sind lediglich die Kreisregierungen und die denselben coordinirten oder übergeordneten Stellen zu verstehen.

7. a. Der Ausfertigung der Entlassungsurkunde § 14 hat eine entsprechende Sachinstruktion voranzugehen. Das Gesuch um Ertheilung dieser Urkunde ist bei der Distriktspolizeibehörde der Heimat des Gesuchstellers entweder schriftlich einzureichen oder mündlich zu Protokoll zu geben.

In dem Gesuche, beziehungsweise der hierüber aufgenommenen Verhandlung, ist außer dem Vor- und Zunamen der Stand (Gewerbe), das Alter und der Heimatsort des Gesuchstellers, sowie seiner etwa vorhandenen Familienglieder (Ehefrau und Kinder) zu constatiren und festzustellen, in wie weit sich die Entlassung auf die Familienglieder erstrecken soll (§ 19 des Ges.).

Weist der Gesuchsteller nach, daß er und resp. seine Familie in einem anderen Bundesstaate die Staatsangehörigkeit erworben hat (§ 15 Abs. I des Ges.), so bedarf es keiner weiteren Ermittlungen.

Abgesehen hievon hat sich die Instruktion nur mit denjenigen Verhältnissen zu befassen, auf Grund deren gemäß § 15 u. 17 des Ges. die Entlassung verweigert werden könnte.

b. Das in § 15 Abs. II Ziff. 1 erwähnte Zeugniß der Kreisersatzkommission ist, da in Bayern keine Behörde dieses Namens existirt, von dem Landwehrbezirkscommando nach vorgängigem Benehmen mit der betreffenden Distriktspolizeibehörde auszustellen.

c. Ergeben sich Zweifel über die Dispositionsfähigkeit des Gesuchstellers oder befindet sich derselbe in strafrechtlicher Untersuchung oder im Rückstande mit öffentlichen Leistungen, so ist das Entsprechende vorzukehren. Eine Berücksichtigung der Interessen von Privatgläubigern des Gesuchstellers findet durch die Verwaltungsbehörden nicht mehr statt, und es ist daher jede öffentliche Bekanntmachung eines Auswanderungsvorhabens zu unterlassen.

d. Die Ertheilung der Entlassungsurkunde kann ferner nicht mehr von dem Nachweise, daß der Gesuchsteller in den Unterthanenverband eines anderen Staates aufgenommen worden sei, abhängig gemacht werden.

e. Nach § 24 des Gesetzes erfolgt die Ertheilung der Entlassungsurkunde kostenfrei, d. h. tax- und stempelfrei, wenn der Gesuchsteller sofort nachweist, daß er in einem anderen Bundesstaate die Staatsangehörigkeit erworben hat. In den übrigen Fällen darf für die Ertheilung der Entlassungsurkunden (mit Einschluß der Instruktionsverhandlungen) nicht mehr als ein Thaler d. i. Ein Gulden fünf und vierzig Kreuzer erhoben werden.

8. Die nach § 20 und 22 des Ges. gegebenen Falls zu treffende Entscheidung bleibt dem unterzeichneten Staatsministerium vorbehalten.

9. Den Distriktspolizeibehörden liegt ob, auf Verlangen Heimatangehörigen ihres Bezirks über den Besitz der bayr. Staatsangehörigkeit nach dem anliegenden Formulare eine Urkunde auszustellen, deren Giltigkeitsdauer für den Fall der Wahl des Aufenthalts im Auslande in der Regel auf 5 Jahre festzusetzen ist.

10. Die Wiederverleihung des verlorenen Indigenats gemäß § 21 Abs. IV des Ges. steht derjenigen Kreisregierung K. d. J. zu, in deren Bezirk der Betreffende zuletzt heimathberechtigt war.

Hiebei ist das beifolgende Formular anzuwenden.

11. Gesuche um die Erlaubniß zum Eintritte in fremde Staatsdienste (worunter auch Kriegsdienste fallen) sind mit gutachtlichem Berichte dem unterzeichneten Staatsministerium vorzulegen (§ 23 des Gef.).

12. Durch vorstehende Entschließung, welche im Kreisamtsblatte zu veröffentlichen ist, werden die Vorschriften über die Beförderung von Auswanderern nach überseeischen Ländern nicht berührt. Die Entschließung des unterzeichneten Staatsministeriums vom 2. Februar 1868 Nr. 1435, die Behandlung der Auswanderungsgesuche betr., wird aufgehoben ; deßgleichen verlieren die in der Ministerialentschließung vom 29. Juni 1868 Nr. 7745, den Vollzug des Gesetzes über Heimat, Verchelichung und Aufenthalt v. 16. April 1868 betr., Ziff. 4 Abs. II ff. ertheilten Anweisungen ihre fernere Anwendbarkeit.

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