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Reichsverfassungsurkunde

vom 16. April 1871 und die wichtigsten Administrativgesetze des deutschen Reichs mit einer systematischen Darstellung der Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts.
Herausgegeben und erläutert von Emil Riedel im Verlag C.H. Beck, Nördlingen 1871.

Dritte Abtheilung. VI. Abschnitt. Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung.
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Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung.

Vom 3. Juli 1869 (Bundesgesetzbl. S. 292).

Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen, etc. verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstages, was folgt:

Einziger Artikel.

Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen1) der bürgerlichen2) und staatsbürgerlichen Rechte werden hiedurch aufgehoben. Insbesondere3) soll die Befähigung zur Theilnahme an der Gemeinde und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter4) vom religiösen Bekenntniß unabhängig sein.

1) Indem das Gesetz nur die aus der Verschiedenheit des Religionsbekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen, d. h. die mit den modernen Anschauungen unvereinbaren Zurücksetzungen der Bekenner oder Nichtbekenner dieser oder jener Religion aufhebt, will es offenbar nicht in diejenige Verhältnisse einzelner Religionsgesellschaften eingreifen, welche zwar verschieden von denen anderer Religionsgesellschaften geordnet sind, aber keine rechtliche Benachtheiligung der Angehörigen der einen oder anderen Gesellschaft in bürgerlicher oder staatsbürgerlicher Hinsicht involviren.

Hieher gehören z. B. die durch die Civilgesetze einzelner Staaten anerkannten kirchenrechtlichen Ehehindernisse, ferner die innerhalb einer Religionsgesellschaft etwa bestehenden besonderen Bestimmungen über das eheliche Güterrecht, das Erbrecht und dergl. endlich diejenigen Normen, welche das Verhältniß einer Religionsgesellschaft zum Staate betreffen, soferne dieselben nicht zugleich eine Entziehung von allgemeinen bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Rechten enthalten. Das Gesetz findet sonach auf diejenigen Einrichtungen oder Vorschriften, welche sich auf den Modus der Religionsausübung oder die Stellung einer Religionsgesellschaft als solcher im Staate beziehen, keine Anwendung.

Dieß geht nicht bloß aus der Entstehungsgeschichte und dem Wortlaute des Gesetzes, welcher nur von den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten der einzelnen Individuen, nicht aber von den Verhältnissen der Religionsgesellscaften handelt, hervor, sondern auch aus den Verhandlungen des deutschen Reichstags (Stenog. Ber. 1871 S.104 ff., u. Anlagen Nr. 12 S. 62), wo die Anträge auf die Einschaltung von Grundrechten, welche auf die Verhältnisse der Kirchengesellschaften als solcher eine Rückwirkung geäußert hätten, abgelehnt wurden. Abgesehen hievon ist zu berücksichtigen, daß die kirchlichen Verhältnisse bis jetzt überhaupt nicht Gegenstand der Gesetzgebungsbefugniß des Bundes sind und daß sich im Gesetze vom 3. Juli 1869 kein Anhaltspunkt findet, welcher auf die Absicht einer Verfassungsänderung schließen läßt; eine solche wurde vielmehr im Reichstage ausdrücklich negirt. - Hieraus ergibt sich, daß weder die besonderen Rechte der einzelnen Kirchengesellschaften, z. B. In Bayern der bevorzugte Schutz der anerkannten Religionsgesellschaften sowie ihrer Diener und ihres Vermögens, die Vertretung der katholischen und protestantischen Kirche in der Kammer der Reichsräthe, die Ansprüche einzelner Kirchengesellschaften auf Leistungen des Staates u. s. w., noch die Rechte des Staates gegenüber einzelnen Religionsgesellschaften in specie die Ueberwachungs- und Bestätigungsrechte, noch die landesgesetzlichen Bestimmungen über die Anerkennung und Eigenschaft bestehender oder neu begründeter Religionsgesellschaften, über die Verwaltung des Kirchenvermögens oder einzelner Anstalten, über die Stiftungen, über die religiöse Kindererziehung und die Schulverhältnisse etc. noch endlich die sogenannten Amortisationsgesetze durch das Gesetz vom 3. Juli 1869 berührt werden.

2) Zu den Beschränkungen bürgerlicher Rechte gehören außer den bereits oben in der Vorbemerkung Ziff. I erwähnten, noch z. B. die früheren Bestimmungen, wodurch den Angehörigen einer gewissen Religionsgesellschaft, abweichend von der allgemeinen Rechtsregel, der Erwerb von Forderungen im Wege der Cession verboten oder erschwert, die Eingehung bestimmter privatrechtlicher Verträge überhaupt nicht oder nur unter Beschränkungen und Sicherheitsmaßregeln gestattet, oder ein Theil der in der väterlichen Gewalt begriffenen Rechte entzogen war.

3) Der letzte Satz des Artikels enthält nur eine Exemplifikation, keineswegs aber eine erschöpfende Aufzählung der staatsbürgerlichen Rechte.

Für Bayern kommen hier insbesondere noch in Betracht die Fähigkeit, die erbliche Reichsrathswürde zu erlangen (Tit. VI § 3 der bayr. Verfassungsurkunde), die Fähigkeit bei der Wahl der Vertreter des größeren Grundbesitzes im Distriktsrathe mitzuwählen und gewählt zu werden, sowie überhaupt Mitglied des Distriktsraths zu sein, die Fähigkeit in den Landrath gewählt zu werden, die Wählbarkeit zum Wahlmanne bei der Wahl der Landtagsabgeordneten, die Wählbarkeit zum Mitgliede des Ausschusses für die Prüfung der Gewerbesteuer-Fassionen und die Fähigkeit zum Geschwornen.

4) Selbstverständlich erwächst dadurch für den Einzelnen kein Recht auf Anstellung in einem concreten Falle, sondern die Regierungen sind nur verpflichtet, Niemanden bloß deßhalb, weil er einer bestimmten Religionsgesellschaft angehört oder nicht angehört, von einem öffentlichen Amte, welches mit der Religionsübung nichts zu thun hat, auszuschließen.

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