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Reichsverfassungsurkunde

vom 16. April 1871 und die wichtigsten Administrativgesetze des deutschen Reichs mit einer systematischen Darstellung der Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts.
Herausgegeben und erläutert von Emil Riedel im Verlag C.H. Beck, Nördlingen 1871.

Dritte Abtheilung. IV. Abschnitt. Gleichberechtigung der Konfessionen.
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IV. Abschnitt

Gleichberechtigung der Konfessionen.

Vorbemerkung: I. Während in einzelnen Staaten des norddeutschen Bundes, nemlich in Preußen, Braunschweig, Hamburg, Hessen, Koburg-Gotha, Schaumburg-Lippe, Lübeck, Oldenburg, Reuß jüngere Linie, Sachsen und Waldeck die aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte bereits bei Gründung des Bundes theils durch die Verfassungen, theils durch besondere Gesetze beseitigt waren, bestanden in anderen Staaten solche Beschränkungen noch fort. Dieselben bezogen sich namentlich auf das Aufenthaltsrecht der Nichtchristen und deren Fähigkeit zum Erwerbe von Grundeigenthum und zum Betriebe gewisser Gewerbe einerseits und auf die Theilnahme an der ständischen und Gemeindevertretung, dann auf die Zulassung zum Erwerbe des Bürgerrechts und zur Bekleidung öffentlicher Aemter andererseits. Außerdem fühlten sich die Israeliten einzelner Staaten in Bezug auf die Ableistung von Eiden und Zeugschaften und die Proceßführung überhaupt, sowie in Ansehung des ehelichen Güterrechtes benachtheiligt und endlich wurde von einer Seite auch das Verbot der Ehe zwischen Juden und Christen hieher gerechnet; vergl. hiezu die Sten. Ber. des nordd. Reichstags von 1868 S. 495.

In Bezug auf die erste Gruppe der vorstehend erwähnten Beschränkungen gewährte das Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867 Abhilfe, indem hier im letzten Absatze des § 1 bestimmt ist:

„Keinem Bundesangehörigen darf um des Glaubensbekenntnisses willen der Aufenthalt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb oder der Erwerb von Grund-Eigenthum verweigert werden.“

Hinsichtlich der übrigen Beschränkungen richtete der norddeutsche Reichstag durch Beschluß vom 23. Oktober 1867 die Aufforderung an den Bundeskanzler, in nächster Sitzung des Reichstags einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen alle noch bestehenden, aus den Verschiedenheiten des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben würden; Stenogr. Ber. von 1867 S. 595-597.

Eine weitere Veranlassung auf den Gegenstand zurückzukommen, ergab sich für den Reichstag aus einer Petition im Jahre 1868; bei dieser Gelegenheit wurde zunächst die vorstehende Aufforderung wiederholt und zugleich beschlossen, daß für alle Eidesleistungen der Jsraeliten eine der Gleichberechtigung entsprechende Form eingeführt, und die volle Gleichberechtigung der Israeliten zur Theilnahme an der Gemeinde und Landesvertretung, sowie zur Bekleidung öffentlicher Gemeinde- und Staatsämter im Gebiete des norddeutschen Bundes ausdrücklich anerkannt werden solle. Der bei jener Gelegenheit ferner gestellte Antrag, daß die Verbote und Beschränkungen der Eheschließung zwischen Christen und Jsraeliten, sowie die auf dem israelitischen Glaubensbekenntnisse des einen Theils beruhenden Beschränkungen der ehelichen Rechte zu beseitigen seien, wurde abgelehnt (Sten. Ber. 1868 S. 499).

Von Seite des Bundesraths fanden die Reichstagsbeschlüsse insoferne Beachtung, als Erhebungen über den Gesetzesstand der Einzelstaaten angeordnet wurden. Nachdem sich jedoch die Gesetzesvorlage verzögerte, so beschloß der Reichstag in den Sitzungen vom 2. und 5. Juni 1869 (Sten. Ber. S. 1246 ff. und 1298) in eigener Initiative einen Gesetzentwurf, welcher vom Bundesrathe angenommen und als Gesetz; vom 3. Juli 1869 verkündet wurde. - Dieses Gesetz ist durch die Bündnißverträge, beziehungsweise durch das Gesetz, die Einführung norddeutscher Gesetze in Bayern betr. vom 22. April 1871 als Reichsgesetz erklärt worden, und in Bayern am 13. Mai 1871 in Wirksamkeit getreten.

Nach den Erklärungen des Antragstellers bezieht sich das Gesetz nicht auf die Eidesleistungen der Israeliten, da diese Angelegenheit in der Civilproceßordnung erledigt werden soll; vergl. die Reichstags-verhandlungen von 1868 Sten. Ber. S. 362, und von 1869 Sten. Ber. S. 1247 II. Was speciell die Verhältnisse Bayerns1 betrifft, so bestanden Beschränkungen in Ansehung der bürgerlichen Rechte oder des Niederlassungsrechtes, welche sich auf das Glaubensbekenntniß zurückführen lassen, schon seit längerer Zeit nicht mehr und auch in Bezug auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte war man bemüht, im Wege der Einzelgesetzgebung die vorhandenen Rechtsungleichheiten zu beseitigen. 2

Daneben blieb aber der in Tit. IV § 9 Abs. III der bayrischen Verfassungsurkunde enthaltene Grundsatz formell unverändert stehen, wonach „die nicht christlichen Glaubens-Genosssen zwar vollkommene Gewissens-Freiheit haben, an den staatsbürgerlichen Rechten aber nur in dem Maaße einen Antheil erhalten, wie ihnen derselbe in den organischen Edikten über ihre Aufnahme in die Staats-Gesellschaft zugesichert ist.“

Dasselbe ist der Fall mit § 11 der II. Verfassungsbeilage, worin bestimmt ist: „Die Religionsänderung hat keinen Einfluß auf die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte, Ehren und Würden, ausgenommen, es geschehe der Uebertritt zu einer Religionsparthei, welcher nur eine beschränkte Theilnahme an dem Staatsbürgerrechte gestattet ist; “ sodann mit § 25 der II. Verfassungsbeilage, welcher sagt, daß die nichtchristlichen Religionsgesellschaften „in Beziehung auf Staatsbürgerrecht nach den über ihre „bürgerlichen“3 Verhältnisse bestehenden besonderen Gesetzen und Verordnungen zu behandeln“ seien.

Es bedarf wohl keiner weiteren Ausführung, daß diese Bestimmungen mit dem Gesetze vom 3. Juli 1869 unvereinbar sind und daher ipse jure außer Wirksamkeit treten.

Die in Bayern bestehende - auf keiner direkten Gesetzesbestimmung beruhende Praxis, Nichtchristen zu einzelnen Staatsämtern nicht zu berufen, wurde in einem seit Einführung des in Rede stehenden Reichsgesetzes vorgekommenen Falle bereits verlassen.

1) Vergleiche hiezu das Lehrbuch des bayrischen Verfassungsrechts von Dr. von Pözl, III. Auflage S. 224, dann die Blätter für administrative Praxis Bd. XVIII S. 38 ff.

2) Z. B. war das Recht, in die Gemeindevertretung oder in den Landtag gewählt zu werden, unabhängig von einem bestimmten Glaubensbekenntnisse.

3) Bürgerlich" ist hier offenbar im Gegensatze zu „religiös " gebraucht.

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